- Gottesdienst des Alltags
- Heilsame Gemeinschaft braucht ein Zentrum
Eduard Franz verweist uns in seinem Beitrag auf die Fülle der Gemeinschaft. Zu Recht erinnert er uns, dass ein echtes Miteinander nicht darin bestehen kann, dass man lediglich, wenn auch regelmäßig, zur selben Zeit, am selben Ort, das Selbe tut. Bestes Beispiel dafür ist die zur Zeit heiß diskutierte Weiterführung der Bundesliga. Ich kann jedes Heimspiel mit meiner Dauerkarte an meinem Stammplatz stehen, meinem Team zujubeln, Emotionen des Glücks, der Trauer, der Wut, der Verzweiflung, der Hoffnung, der Erlösung spüren, beim Torjubel meinem Nachbarn um den Hals fallen (das erst nach Corona wieder) und doch keine wirkliche Gemeinschaft mit ihnen haben. Meine Sitznachbarn, ja der ganze Block von Menschen, kann mir dabei völlig fremd sein. Für den Moment der 90 Minuten haben wir ein gemeinsames Ziel und sind wie eine verschworene Gemeinschaft, doch nach dem Abpfiff geht jeder wieder seiner Wege. Wenn unsere Gottesdienste und unsere Gemeinde genau das widerspiegeln, ohne echte Anteilnahme im Alltag und Taten der Liebe, wie sie Eduard Franz beschreibt, dann hat er tatsächlich Recht.
Seine Kritik lautet: „Ein Gottesdienst kann diese Vielfalt nicht im Ansatz fassen. Eine Gemeinde, in der das geistliche Leben auf den Gottesdienstbesuch und die stille Andacht des Einzelnen reduziert wird, verpasst all die reichen Schätze, mit denen Gott seine Kinder beschenkt hat.“
Ich möchte ergänzend aufzeigen, dass eine wahre Gemeinschaft, eine heilsame Gemeinschaft, ein verbindendes Zentrum benötigt, nicht nur transzendent, sondern auch immanent, regelmäßig vor Ort, nämlich den Gottesdienst.
Außerhalb der (wahren) Kirche gibt es kein Heil
Von einem der Kirchenväter der Alten Kirche, Bischof Cyprian von Karthago aus dem 3. Jahrhundert, ist uns die verkürzte Formel überliefert: Extra ecclesiam nulla salus – Außerhalb der Kirche gibt es kein Heil.1 1854 erfuhr diese Formel durch Papst Pius IX. in der Ansprache Singulari quadam eine römisch-katholische Engführung, dass es außerhalb der römischen Kirche keine Errettung für Menschen gäbe, die jedoch vom 2. Vatikanischen Konzil (1962-1965) wieder etwas korrigiert wurde. Der Grundgedanke wurde jedoch von keiner christlichen Denomination, auch nicht von den Reformatoren, bestritten: Außerhalb der (wahren) Kirche gibt es kein Heil. Die Frage drehte sich vielmehr darum, wo denn die wahre Kirche, der wahre Leib Christi sichtbar werde.
Die Negativschablone von Eduard Franz sollte uns vielmehr zu denken geben, wie sich denn die wahre Kirche, der wahre Leib Christi, gestaltet. An dem Gottesdienst wird hier kein Weg vorbeiführen. Nicht ein bestimmtes Ritual, Liturgie oder Empfindung geben hier den Ausschlag, sondern die Lehre des reinen Evangeliums und die rechte Verwaltung der Sakramente Taufe und Abendmahl, so sagt es Artikel 7 des Augsburger Bekenntnisses, sind die Kennzeichen der wahren Kirche.2
Evangelium und Sakramente als Zentrum der Gemeinde
So sehr Franz auf die Auswirkungen des geistlichen Lebens im Alltag und Leben der Gemeindeglieder hinweist, so entspringen diese jedoch einem gemeinsamen Zentrum, nämlich der Lehre des Evangeliums und der Verwaltung der Sakramente. Die Früchte des Heiligen Geistes: „Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut, Keuschheit“ (Galater 5,22f), die wir alle so gerne im Umgang miteinander erfahren würden, und hoffentlich tun, entspringen gerade nicht unserem Wesen. Paulus verweist in den zwei folgenden Versen darauf, dass dies nur durch die Kreuzigung (also den Tod) unseres alten Lebens möglich wird und wenn der Heilige Geist uns zu einer neuen Kreatur durch den stellvertretenden Sühnetod Jesu Christi macht. Aus uns heraus sind wir zu einem solchen Leben, zu einer solchen echten Gemeinschaft, überhaupt nicht fähig. Sie können nur Frucht des neuen Lebens, Frucht der Heiligung sein.
Dass es zu einem neuen Leben kommt, ist nur möglich durch die Rechtfertigung, durch die völlige Verwandlung durch Sterben und Auferstehen eines Menschen.3 Gerade die Verwandlung, diese Rechtfertigung aber geschieht nur durch die Verkündigung des Wortes Gottes, durch die Predigt und das Zeugnis des Evangeliums von Jesus Christus: „So kommt der Glaube aus der Predigt, das Predigen aber durch das Wort Christi.“4
Dass dies aber keine einmalige Handlung ist, sondern dass wir es immer wieder neu nötig haben, dass unser Herz ausgerichtet wird auf das Evangelium, zeigen die Stellen der Bibel, wo Menschen abirren von der Gemeinschaft. Gerade im Galaterbrief und im Hebräerbrief erleben wir Apostel im Ringen um die Gemeinde, die in Gefahr steht, die heilsame Lehre und die heilsame Gemeinschaft zu verlassen. Die Notwendigkeit des Zentrums durch den Gottesdienst wird im Hebräerbrief eindrücklich deutlich: „Und lasst uns aufeinander Acht haben und uns anreizen zur Liebe und zu guten Werken und nicht verlassen unsre Versammlungen, wie einige zu tun pflegen, sondern einander ermahnen, und das umso mehr, als ihr seht, dass sich der Tag naht.“ (Hebräer 10,24f)
Der Apostel zieht hier eine eindeutige Linie: Wer den Gottesdienst (auf Dauer) verlässt, verlässt die Gemeinschaft, verlässt die Kirche, verlässt den Leib Jesu Christi und steht in großer Gefahr, das eigentliche, nämlich die Wiederkunft Jesu Christi und somit das ewige Heil zu verpassen. Aus evangelischer Sicht ist man vielleicht geneigt wegen der römisch-katholischen Engführung statt Extra ecclesiam nulla salus – Außerhalb der Kirche gibt es kein Heil, zu sagen: Extra christum nulla salus – Außerhalb von Christus gibt es kein Heil, doch gerade das birgt wieder die Gefahr des Individualismus, in die uns auch die Corona-Situation noch weiter getrieben hat.
Jesus Christus gibt es – auf Dauer – eben nicht außerhalb seiner Kirche, der Predigt des Evangeliums und den heiligen Sakramenten, denn dort verheißt er seine Gegenwart und offenbart sich nach seiner Verheißung. Das lateinische ecclesia ist die Übersetzung des griechischen ekklesia und kommt 114x im Neuen Testament vor.5 Die Bedeutung dieses Begriffes lautet: “Die Herausgerufenen”. Dahinter steht die Bedeutung, dass Jesus Christus einen Teil der Menschen zu einem neuen Leben herausruft, zu einer neuen Gemeinschaft, die “der Welt” gegenüber steht zu Zeugnis und Dienst.
Daher auch seine Ausführungen in Matthäus 18,15-18, dass es keine Selbstverständlichkeit ist zur Gemeinde, zum Leib Christi zu gehören. Es gibt auch einen Ausschluss aus der Gemeinde (das ungeliebte Wort der Gemeindezucht6), was nur dann überhaupt einen Sinn macht, wenn das Prinzip des Extra ecclesiam nulla salus zumindest in Ansätzen geteilt wird. Wobei natürlich darauf hinzuweisen ist, dass es bei der Gemeindezucht und Jesu Aussage nicht um eine letzte Verurteilung geht, sondern stets um die Rückgewinnung des Bruders bzw. der Schwester.
Das Zentrum konzentrischer Kreise
Eine echte Ermahnung, ein wirkliches „Anreizen zur Liebe und guten Werken“ (Hebräer 10,24) gibt es eben nur, wenn es ein verbindendes und verbindliches Zentrum gibt. Dieses Zentrum ist zweifellos der Sohn Gottes, Jesus Christus, doch seine Offenbarung ist nicht zu trennen von der Verkündigung des Evangeliums und den Sakramenten, letztlich dem Gottesdienst. Von diesem Mittelpunkt ausgehend entfalten sich dann, sofern es eine lebendige und wahre Gemeinschaft in Jesus ist, die Taten der Liebe in konzentrischen Kreisen.
Der von Eduard Franz geforderte Gottesdienst im Alltag ist daher auf Dauer nur mit einem verbindenden Mittelpunkt, nämlich dem gemeinschaftlichen Gottesdienst am Sonntag, möglich, der die heilsame Gemeinschaft begründet und fördert.
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ist Gemeinschaftspastor in Südbaden und promoviert gerade an der Universität Fribourg(CH) in Theologie.
Martin schreibt hier als Gastautor.
Fußnoten
- Nachzulesen in seinem 73. Brief, Kapitel 21: http://www.unifr.ch/bkv/kapitel.php?abschnittnr=2013&ordnung=20
- https://www.evangelische-bekenntnisse.de/fileadmin/mcs/evg_bk/schriften/gesamt/files/assets/basic-html/index.html#15
- Römer 6,5-14
- Römer 10, 14-17 (Zitat Vers 17)
- 23x in der Apostelgeschichte; 21x im 1. Korintherbrief; 19x in der Offenbarung und lediglich 2x in den Evangelien (Matthäus 16,17 und 18,17); Rest verteilt sich auf die Briefe
- Sehr zu empfehlen ist das Buch von Jonathan Leeman: „Gemeindezucht: Wie die Gemeinde den Namen Jesu ehrt und bewahrt” (2017)