Wie gelingt Einheit in einer polarisierten Gesellschaft?

Auch wenn sich alles in mir dagegen sträubt: Ich komme nicht mehr an der traurigen Tatsache vorbei, dass die Berichterstattung in den öffentlich-rechtlichen Medien einseitig politisch gefärbt ist. Wir alle erinnern uns an den Orkan der Entrüstung, den der Beitrag von AfD-Stimmen zur Wahl eines FDP-Politikers zum Ministerpräsidenten von Thüringen auslöste. In Mecklenburg-Vorpommern wurde jüngst eine Frau zur Verfassungsrichterin gewählt, die aktiv bei einer linksradikalen, vom Verfassungsschutz beobachteten Organisation mitarbeitet. In ARD und ZDF habe ich zu diesem unglaublichen Skandal kaum ein laues Lüftchen vernommen. Im Bericht über die jüngsten Antirassismus-Demonstrationen fiel in der Tagesschau doch tatsächlich der folgende unglaubliche Satz: „Die Hygiene- und Mundschutzregeln wurden überwiegend eingehalten“ (hier bei 2:00) – obwohl wenige Blicke genügten, um sich vom krassen Gegenteil zu überzeugen. Welch ein Kontrast zu den wochenlangen Warnungen vor Verstößen gegen die Hygieneregeln, z.B. bei den Demonstrationen gegen die Einschränkungen von Freiheitsrechten. Die doppelten Standards in der Berichterstattung sind unübersehbar geworden, meinen Birgit Kelle und Peter Hahne in zwei zugespitzten Artikeln. Selbst wenn man ihnen in Stil und Inhalt nicht vollständig zustimmen mag: Im Kern kann man kaum widersprechen – zumal die Linkslastigkeit des politischen Journalismus in Deutschland immer wieder in Studien nachgewiesen wurde.

Die wachsende Polarisierung der Gesellschaft ist ohne Zweifel auch eine Folge dieser politischen Einseitigkeit wichtiger Medien. Während sich die einen in ihrer politischen Haltung, in ihrer gefühlten moralischen Überlegenheit und in ihrer Empörung über Andere überwiegend von diesen Medien bestätigt fühlen, empören sich die anderen über genau diese Einseitigkeit und Arroganz und vergewissern sich darin mit Hilfe einer alternativen Medienszene, die nicht selten selbst zu Einseitigkeit neigt. Ein Ausweg aus dieser Negativspirale scheint mir derzeit nicht in Sicht zu sein.

Für die Kirche Jesu bedeutet das eine enorme Herausforderung. Auch Christen bilden sich ihre Meinung auf Basis von Fernsehen und Internet. Die Kirche Jesu kann sich die wachsende Hitzigkeit der politischen Debatten nicht einfach so vom Leib halten. Das war zuletzt auch in der Corona-Krise gut zu beobachten. In meiner Facebook-Timeline stapelten sich die Posts und Kommentare dazu. Besonders auffällig war, dass selbst Christen, die theologisch sehr nahe beieinander stehen, bei diesem Thema vollständig konträre Meinungen vertreten konnten, manche sogar mit großer, moralisch aufgeladener Gewissheit und hohem Sendungsbewusstsein. So konnte ich mir aussuchen, ob ich mich wahlweise versündige, indem ich der Beraubung der Freiheitsrechte tatenlos zuschaue oder indem ich die lebensrettenden Freiheitseinschränkungen anzweifle.

Wie gehen wir als Kirche Jesu damit um? Wie können wir Einheit bewahren, obwohl wir der gesellschaftlichen Polarisierung nicht wirklich ausweichen können? Drei Dinge scheinen mir dafür von zentraler Bedeutung zu sein:

1. Die Stärkung der Einheit durch Bibel und Bekenntnis wird wichtiger denn je

In einem wichtigen Grundsatzartikel hat Peter Bruderer aufgezeigt, dass die Kirche der ersten Jahrhunderte vor ganz ähnlichen Herausforderungen stand. Mehr noch als die äußerlichen Anfechtungen durch Repression und Verfolgung war die Kirche durch innere Konflikte bedroht. Umso wichtiger war die Herausbildung von gemeinsamen Bekenntnissen auf Basis der apostolischen Schriften, die immer auch verbunden war mit der Abwehr von falschen Lehren, die in die Kirche eindringen wollten. Die Kirchengeschichte zeigt überdeutlich: Obwohl Jesus so intensiv um die Einheit seiner Nachfolger gebetet hat (Johannes 17), ist der Kampf um die Einheit der Kirche eine gewaltige Herausforderung. Das gilt auch dann, wenn sie sich auf eine gute gemeinsame Basis von Bibel und Bekenntnis stellt. Aber ohne diese Basis von Bibel und Bekenntnis sind wir in diesem Kampf hoffnungslos verloren.

2. Der Fokus auf Jesus und die Verwurzelung in der Schrift schafft Distanz zum Zeitgeist

Die Kirche Jesu hat schon immer in einer gewissen Gegenkultur zu den sie umgebenden Gesellschaften gelebt, weil die biblischen Lehren zur Sündhaftigkeit des Menschen, zur notwendigen Erlösung durch den Kreuzestod Jesu sowie die biblischen Vorstellungen über Moral und (Sexual-)Ethik noch nie der Mehrheitsmeinung entsprachen. Wer Jesus folgt und sich dafür von seinem Wort prägen lässt, gerät automatisch in eine gewisse Distanz zu den lautstarken Meinungsmachern seiner Zeit. Christen fühlen sich nun einmal primär an DEN EINEN Meinungsmacher gebunden, der der Herr der Kirche ist. Sie werden deshalb alles, was sie hören, durch den Filter seines Wortes laufen lassen – und da verliert so manche scharfe These schon an Wucht und Bedeutung. Wer seine Knie vor dem Herrn Jesus beugt, bezieht daraus Kraft, vor weltlichen Herren standhaft zu bleiben und sich von ihren Meinungsmachern nicht beeindrucken zu lassen. Diese Unbeugsamkeit gegenüber zeitgeistigen Strömungen hat den Christen immer wieder Unmut und Verfolgung eingebracht. Aber sie hat geholfen, die eigenständige Identität der Kirche Jesu durch die Jahrtausende hindurch zu bewahren. Wenn Kirche beieinander bleiben will, dann muss sie mehr denn je auf den Herrn der Kirche und sein Wort fokussiert sein.  Dann darf die sonntägliche Predigt keine Privatansichten transportieren, sondern der Prediger muss vorleben, dass er sich an Gottes Wort orientiert und sich diesem unterordnet. Das legt die Basis für eine gesunde Gemeindekultur, in der auch äußere Einflüsse am Wort Gottes gemessen, geprüft und ggf. relativiert werden können.

3. Das Bleiben in der Liebe und im Frieden Gottes wird zum Überlebenselixier

Angesichts der Aufregungs- und Empörungskultur unserer Tage könnte man meinen, wir befänden uns in der schlimmsten Krisenzeit der Geschichte. Dabei ist genau das Gegenteil der Fall. Gerade in Deutschland sind die gegenwärtigen Probleme vollkommen harmlos im Vergleich zu den Herausforderungen, mit denen frühere Generationen konfrontiert waren. Jesus hat angekündigt, dass die Erschütterungen gegen Ende der Zeit zunehmen werden (Matth. 24, 8ff.). Wenn wir es schon jetzt nicht schaffen, ruhig, gelassen, fröhlich und liebevoll zu bleiben, wie soll uns das dann erst in Zukunft gelingen, wenn wir tatsächlich mit harten Herausforderungen konfrontiert werden?

Ich habe es mir deshalb angewöhnt, mich nie aus einer Emotion heraus öffentlich zu äußern. Bevor ich etwas öffentlich schreibe oder sage, versuche ich, zuerst wieder einzutauchen in Gottes „Frieden, der höher ist als alle Vernunft“ (Phil. 4,7), der also nicht von den Umständen abhängig ist. Je aufwühlender die Zeiten werden, umso deutlicher wird sich herausstellen, ob wir wirklich in der Liebe Gottes und im Frieden Christi gegründet sind oder nicht. Aus diesem Frieden heraus können wir deutlich gelassener mit angsterzeugenden Krisenmeldungen und lautstarken Meinungsäußerungen umgehen. Wir können uns Zeit lassen für eine gründliche Meinungsbildung auf Basis unterschiedlicher Stimmen und fundierter Fakten. Wir können lernen, weise und differenziert zu argumentieren. Wir können mit Menschen barmherzig umgehen, weil wir selbst von Gottes Barmherzigkeit leben. Und die Liebe Christi wird uns treiben, in erster Linie Menschen statt nur Diskussionen gewinnen zu wollen.

Wie Christuszentrierung beim Umgang mit Randpositionen hilft

Aber wie geht man nun ganz praktisch mit Mitchristen um, die in gesellschaftlichen Fragen extreme Randpositionen vertreten? Um uns für diese Herausforderung als Gemeinde langfristig zu rüsten, sollten wir bedenken: Menschen mit Randpositionen sind weniger problematisch, solange sie diese Position friedvoll vertreten und solange sie gelassen damit umgehen können, dass andere Gemeindemitglieder ihnen nicht zustimmen. Problematisch wird es ja zumeist erst dann, wenn solche Menschen von Angst getrieben sind oder wenn ihr gefühltes Spezial- und Sonderwissen zur Ersatzidentität wird, aus dem sie ihren Selbstwert ziehen. Damit eine derart schwierige Situation möglichst erst gar nicht aufkommt, brauchen wir eine gelebte Kultur der Anbetung und des Gebets, die Menschen in Verbindung bringt mit der Liebe und dem Frieden Gottes. Wo wir gemeinsam fasziniert sind von der Größe, Gnade und Wahrheit unseres wunderbaren Herrn, da verliert alles andere von selbst an Bedeutung und somit auch an spaltendem Potenzial. Dazu gehört aber auch, dass wir eine Kultur entwickeln, in der Bibel und Bekenntnis der gemeinsam akzeptierte Maßstab für alle ist. Dann kann Gottes Wort auch in schwierigen Situationen für alle nachvollziehbar Orientierungspunkt und notfalls auch Schiedsrichter in der Gemeinde sein.

Allein den Betern kann es noch gelingen!

Die Wahrheit dieses Satzes zeigt sich gerade jetzt. Nur wer im Gebet mit Jesus verbunden ist, kann in aufgewühlten Zeiten Frieden im Herzen bewahren und diesen Frieden auch verbreiten. Aber ich finde, wir müssen diesen Satz ergänzen: Allein den Betern und Bibellesern kann es noch gelingen! Die Verwurzelung in Bibel und Bekenntnis gehört notwendigerweise mit dazu. Damit kann die Kirche Jesu nicht nur zuversichtlich den kommenden Erschütterungen entgegensehen. Sie wird zudem inmitten einer aufgewühlten Gesellschaft immer heller strahlen können mit einer friedlich-liebevollen Gegenkultur, die zwar deutlich Position bezieht, zugleich aber trotzdem über alle Standes-, Generations-, Denominations- und Kulturgrenzen hinweg Einheit und Versöhnung leben kann.

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