Gottesdienst- und Glaubenskrise?

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Corona offenbart die Krise des Gottesdienstes

Nicht zu fassen! Noch nie dagewesen! Ein umfassendes Gottesdienstverbot, vom Staat verordnet, von den Kirchenoberen staatstreu anmutend hingenommen und bejaht. Keine Gottesdienste, vielfach verschlossene Kirchen, nicht einmal zum Gebet geöffnet. Und das alles in besonders kirchlich geprägter Zeit um Karfreitag und Ostern, wo die Mitte christlichen Glaubens, die Kreuzigung und Auferstehung Jesu Christi, im Fokus steht. Das freiheitliche Grundrecht der freien Religionsausübung wird außer Kraft gesetzt aus Gründen des Gesundheitsschutzes.

Bei allen berechtigten Vorsichtsmaßnahmen, bei streng ausgelegten Abstandsregeln und  Hygienemaßnahmen seitens des Staates wären Gottesdienste in den Kirchen, erst recht in den überwiegend größeren Kirchen, möglich gewesen, ohne den Nächsten zu gefährden. Ganz offensichtlich haben die Kirchenvertreter sich dem Staat gegenüber nicht  zum Anwalt des Gottesdienstes gemacht, sondern eher klein gemacht. Baumärkte und Selbstbedienungsläden waren geöffnet. Inzwischen werden Gottesdienste mit Auflagen wieder zugelassen, aber mit einem Singverbot seitens der Kirche belegt. Wissenschaftliche Gutachten besagen, dass die Vireninfektion ein Singen mit Abstand ohne weiteres zulässt.

Dabei geht es im Gottesdienst um das Herzstück lebendiger Gemeinde und christlicher Spiritualität.

Es geht um die Begegnung mit dem Dreieinigen Gott in Wort (Verkündigung) und Sakrament (Heiliges Abendmahl). In seinem Namen wird der Gottesdienst gefeiert. Er ist gegenwärtig, Er lädt sein. Der Gottesdienst ist Gottes Sache, nicht irgendeine Versammlung!

Darum ist der Gottesdienst nicht verhandelbar!

Gott ist gegenwärtig im verkündigten Wort Gottes, wodurch Gottes Heiliger Geist wirkt, Glauben weckt und Glauben stärkt. Der auferstandene Christus ist wirklich gegenwärtig in den Gaben von Brot und Wein, er  schenkt dem Gläubigen in der Kommunion (Gemeinschaft) mit sich „Vergebung der Sünden, Leben und Seligkeit“.

Wir sagen zurecht, dass Gott überall wirkt, aber in besonderer Weise in Wort und Sakrament, also im Gottesdienst. Das ganze Evangelium, die Gemeinschaft mit Gott, der Zuspruch der Liebe und Gnade, die Zusage des Heils wird dem einzelnen Gottesdienstbesucher in der Gemeinschaft der Glaubenden zugeeignet. Hier wird es in dem Wir der Gemeinde dem Einzelnen persönlich Wirklichkeit: Was Gott ist, das ist er für dich! Im Heiligen Abendmahl hören wir es direkt zugesprochen: „Christi Leib für dich gegeben. Christi Blut für dich vergossen.“

Und die Predigt hat nur eine Aufgabe: Jesus Christus predigen. „Unum praedica: sapientiam crucis.“ – „Eins sollst du predigen: die Weisheit des Kreuzes.“ (Martin Luther)  Und Augustinus sagt: „In der Kirche gilt nicht: Dies sage ich. Dies sagst du. Dies sagt er. Sondern hier gilt: Das sagt der Herr!“

Der Gottesdienst ist eine Wir-Veranstaltung im Angesichte Gottes

Das einzelne Ich ist eingebettet in das Wir der Gemeinde. Gemeinsam wird gebetet, gehört, gesungen und bekannt. Es stärkt, die anderen als Glaubensgeschwister leiblich wahrzunehmen. Siehe Glaubensbekenntnis, Vaterunser, liturgische Stücke! Der einzelne Christ droht zu vereinsamen, geistlich auszuhungern, wenn er diese gottesdienstliche Gemeinschaft nicht hat. Glaubensgemeinschaft über Funk und Fernsehen, Internet und Laptop, Gottesdienst über diese Medien sind auf Dauer kein Ersatz. Gut für jene, die aus gesundheitlichen Gründen nicht zur Kirche gehen können. Den Mediengottesdiensten fehlt die Leiblichkeit, sie sind wie ein Kuss durchs Telefon. Es macht eben doch einen Unterschied, ob ich in meinen eigenen vier Wänden einen Gottesdienst über Medien verfolge, oder inmitten der Gemeinde in der Kirche den Gottesdienst erlebe. Abendmahlsempfang über Internet oder Fernsehen ist nicht stiftungsgemäß. Es gibt zwar eine Nottaufe, die jeden konfirmierten Christen bevollmächtigt, im Notfall, wenn der Täufling in Lebensgefahr ist und kein Pfarrer in der Nähe ist, zu taufen. Es gibt aber kein Not-Abendmahl.

Gottesdienstkrise auch schon vor Corona

Der Gottesdienstbesuch lässt nach. „Ich kann auch Christsein, ohne in die Kirche zu rennen.“ „Ich bin zwar Christ, aber kein Kirchgänger“. Der regelmäßige Gottesdienst ist für die meisten Christen Ausnahme. Kirchliche Mitarbeiter und Pfarrer sind hier leider eingeschlossen. Wenn alle kirchlichen Mitarbeiter die Gottesdienste besuchten, wären die Kirchen gut besucht. Woran liegt das? An der Gottesdienstform? Bei den evangelischen Gottesdiensten weiß man oft nicht, was einen erwartet. Das jus liturgicum (das Recht die Liturgie zu bestimmen – d.Red.) liegt bei der jeweiligen Gemeinde. Das erklärt eine unübersehbare Fülle verschiedenster Gottesdienstformen, die sich zum Teil weit weg von der üblichen, seit vielen Jahrhunderten gepflegten Liturgie der Evangelischen Messe entfernt. Man will modern sein, mit der Zeit gehen, Altar, Orgel, Kanzel verlieren ihren cantus firmus, Beamer, Keyboard und Laptop sollen Zeitnähe bringen. Diese verwirrende Vielfalt der Liturgien droht das Zentrum des Gottesdienstes aus den Augen zu verlieren. Schließlich geht es nicht um ein gemeinschaftliches, religiöses Event, sondern um die rechte Art, Gott zu dienen, ihn in Wort und Sakrament in seiner Gemeinde wirken zu lassen.

Die Krise des Gottesdienstes hat ihren Hauptgrund in der Glaubenskrise

Von dieser Glaubenskrise sind vielfach Pfarrer, kirchliche Mitarbeiter, Kirchengemeinderäte und Synodale erfasst. Wer in der Glaubenskrise steckt, kann keinen Glauben erwecken oder stärken. Wir haben das jetzt in der Coronazeit erleben können. Jetzt wäre die Zeit, in der Verkündigung auf das Leiden und Sterben aus biblischer Sicht einzugehen, zu fragen, was das Virus zu tun haben könnte mit Gott. Ist Gott gerecht?  Frage nach der Theodizee. Straft Gott? Ist Gott zornig? Will Gott unsere Buße, Besinnung? Leben wir in der Endzeit? Gerade die Botschaft des Evangeliums, die Botschaft vom Gekreuzigten und Auferstandenen, die Botschaft des „Fürchtet euch nicht“ wäre hochaktuell. Aber die Bischöfe schweigen. Und im Regelfall wird der Hörer ermahnt zur Solidarität und Nächstenliebe. Es wird das gesagt, was moralisch auch Politiker und Gutmenschen sagen. Eine große vertane Chance, das Evangelium mit seinem Trost, seiner Hoffnung und Freude unter die Leute zu bringen.

Kommen wir zurück auf den unaufgebbaren Gottesdienst.

„Dem Gottesdienst ist nichts vorzuziehen.“  (Benedikt von Nursia)

Diesen Satz stellte Benedikt von Nursia, der Begründer des Benediktinerordens, an den Anfang und das Ende seiner Ordensregel. In der Apostelgeschichte 2,42 lesen wir von der ersten Gemeinde:Sie blieben aber beständig in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet.“ Hier werden jene unaufgebbaren Inhalte gesagt, die für den Gottesdienst konstitutiv sind.

Und nicht zuletzt das 3. Gebot „Du sollst den Feiertag heiligen!“  Im Kleinen Katechismus sagt Luther in seiner Erklärung: „Wir sollen Gott fürchten und lieben, dass wir die Predigt und sein Wort nicht verachten, sondern es heilig halten, gerne hören und lernen.“

Im lutherischen Augsburger Bekenntnis heißt es von der Kirche im Artikel 7:

„Es wird auch gelehrt, dass allezeit eine heilige, christliche Kirche sein und bleiben muss, die die Versammlung aller Gläubigen ist, bei denen das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakramente laut dem Evangelium gereicht werden…“

„Dem Gottesdienst ist nichts vorzuziehen.“ Am Gottesdienstbesuch entscheidet sich die Lebendigkeit einer Gemeinde. Andere Aktivitäten treten dahinter zurück.

Der Gottesdienst hat eine himmlische Dimension

Über der Eingangstür meiner Heimatkirche, der St. Stephanikirche zu Goslar, steht in Stein gemeißelt Hic porta coeli – Hier ist die Pforte des Himmels. Wer das Gotteshaus zum Gottesdienst betritt, geht durch diese Tür. In der Tat hat der Gottesdienst eine himmlische Dimension. Himmel und Erde berühren sich mit der Gegenwart Gottes, die irdische Gemeinde ist mit der himmlischen Gemeinde verbunden, in Gebet, Anbetung, Lobpreis, im Hören auf Gott in seinem Wort, in der Kommunion mit Christus im Heiligen Abendmahl, im Singen mit den Engeln beim „Heilig“ (Sanctus). Das Heilige Abendmahl bezeichnet man auch als Pharmakon zum ewigen Leben. Wort und Sakrament erschließen dem Gottesdienstteilnehmer das Tor zu Himmel, den Eingang ins ewige Leben, den Zugang zu Gottes Gnade, Erlösung und Liebe, in die tiefste Gemeinschaft mit Christus. Daher ist der Gottesdienst nicht eine x-beliebige Gemeindeveranstaltung, sondern Mitte und Zentrum der Gemeindearbeit, Mitte und Zentrum gelebter christlicher Spiritualität. Gott dient uns, wir dienen ihm. Größeres gibt es nicht!

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